Aufsatz: Szenenbilder industrieller Arbeit
Stefanie Stallschus: Szenenbilder industrieller Arbeit. Über die Industriefotografien von Wolfgang Lorenz, in: Stahl. Wolgang Lorenz, Ausst.-Kat. Industriemuseum Brandenburg, Lehnin 2020, S. 5-9.
Die Uhr zeigt kurz vor drei, das Kantinengeschirr ist noch nicht weggeräumt, in der Schusterei liegen Dreifuß und Schusterhammer bereit. Doch der Eindruck, dass an diesem Ort noch gearbeitet wird, trügt, denn die große Produktionshalle liegt still und verlassen da. Schon lange wurde die Ofenanlage nicht mehr angefeuert. Es ist eine unwiederbringliche Arbeitswelt, die Wolfgang Lorenz in seiner Fotoserie Stahl über das Stahl- und Walzwerk Brandenburg vergegenwärtigt. Dieser Arbeitsalltag gehört insofern der Vergangenheit an, als die Stahlhalle mit einem verbleibenden Siemens-Martin-Ofen als technisches Denkmal in der Nachwendezeit stillgelegt und zum Museum umgewidmet wurde. Dennoch gibt es lebendige Bezüge zur Gegenwart, denn ebenso wie der Fotograf kennen auch etliche Besucherinnen und Besucher die konkreten Abläufe im Werk und den Alltag in den betriebseigenen Werkstätten noch aus eigener Anschauung. Die Fotografien, die Lorenz zwischen 2018 und 2019 angefertigt hat, das heißt knapp dreißig Jahre nach der Werksschließung, sind also in einem besonderen Moment des Übergangs entstanden. Sie markieren einen Umschlagspunkt, an dem erlebte Gegenwart in Geschichte übergeht, an dem die lebendige Erinnerung und die allgemeine historische Perspektive nebeneinander bestehen. In den Fotografien macht sich das durch Nähe bei gleichzeitiger Distanz zum Gegenstand bemerkbar. […]